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Interview mit Markus Beckedahl von Netzpolitik.org

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FRISCH GEBLOGGT SPEZIAL:
Die Zukunft der Content- und Medienindustrie
Als New-Media-Berichterstatterin begleite ich offiziell das „Flying Sparks Überflieger“-Team der Frankfurter Buchmesse 2011. Neben klassischen Blogposts erwarten Euch hier im Blog in den nächsten Wochen witzige Clips, interessante Interviews und spannende Diskussionen rund um das Thema „Flying Sparks“ & „Contentproduktion der Zukunft“.

Liebe Blog-Leserinnen und Leser! Bei meinem letzten Besuch in Berlin hat sich Markus Beckedahl spontan für mich Zeit genommen (an dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an Markus!), um mir ein Interview für Frisch-gebloggt.de zu geben. Markus ist Blogger des in Deutschland sehr beliebten und gut besuchten Blogs Netzpolitik.org, er ist Mitbegründer des Vereins Digitale Gesellschaft e.V., Partner der Agentur Newthinking und Veranstalter der re:publica, der jährlich in Berlin stattfindenden Social-Media-Konferenz. Freut Euch auf ein lesenswertes Interview, das die Themen “Geschäftsmodelle für Blogs” und “Urheberrecht im Internet” im Fokus hat. Viel Spaß beim Lesen!

Markus Beckedahl (Foto: Rerun van Pelt/Flickr)

Markus Beckedahl (Foto: Rerun van Pelt/Flickr)

Frisch gebloggt: Wir beschäftigen uns gerade mit dem Thema „Zukunft der Content-Produktion“. Du betreibst seit vielen Jahren das Blog Netzpolitik.org. Was denkst Du als Blogger, welche Geschäfts-Modelle müssen im Internet entstehen, damit wir in Zukunft Blogs mit hochwertigen Content haben, deren Betreiber für ihre gute Arbeit auch bezahlt werden?

Markus Beckedahl: Also in den letzten Jahren gab es eigentlich mehr oder weniger 2 ½ Geschäfts-Modelle für Blogger, Podcaster und unabhängige Produzenten von Inhalten, die jetzt keine klassischen Journalisten sind und waren. Das eine Geschäftsmodell ist relativ bekannt: das nennt sich Werbefinanzierung. Hat allerdings bei Blogs einige Nachteile, was mit der derzeitigen Situation der Media-Agenturen zusammenhängt: dass Blogs nämlich in der Regel nicht genug Zugriffszahlen, nicht genug Leser haben, um überhaupt interessant zu werden für Media-Agenturen, die es gewöhnt sind für Kunden große Pakete an Werbeblöcken zu verkaufen. Ein Blog, das nur ein paar tausend Leser hat, auch wenn es sich auf ein bestimmtes Thema spezialisiert hat, hat sehr große Schwierigkeiten einen passenden Vermarkter zu finden, um sich darüber dann zu refinanzieren. Das wird sich vielleicht in der Zukunft ändern, wenn Media-Agenturen, Unternehmen und Werbetreibende ein besseres Gefühl dafür bekommen, dass sie im Optimalfall eher spezialisiertere Zielgruppen direkter mit einer Werbung erreichen können in Blogs, als dass sie mit der Gießkanne quasi über große Lesermassen drübergehen und für all die Menschen mitbezahlen, die zwar potentiell die Werbung lesen bzw. sehen können, aber überhaupt nicht zur Zielgruppe gehören.

Frisch gebloggt: Und das das zweite Modell?

Markus Beckedahl: Das zweite Geschäftsmodell, das viel verbreiteter ist, ist das, dass man sich über einen Blog einen Namen macht und quasi erweiterte Dienstleistungen anbietet. Der Klassiker ist der Designer bzw. die Designerin, der/die dann in ihrem/seinen Blog die eigenen Werke ausstellt , über Design schreibt und darüber wiederum Kunden findet, die Designer suchen. Oder es sind die freien Journalisten, die quasi mit freien Ressourcen, also mit Leerlauf, sich Themen widmen, die ihnen Spaß machen, um zu zeigen, was sie drauf haben, um darüber wiederum potentielle Auftraggeber zu finden. Oder es sind die vielen Berater, die über das Thema XY bloggen, so als Experten wahrgenommen werden und auf diesem Weg dann erweiterte Dienstleistungen anbieten, wie beispielsweise Workshops, Studiengutachten oder generell irgendwelche Kommunikationsstrategien.

Frisch gebloggt: Und welches dritte, „halbe“ Geschäftsmodell fehlt jetzt noch?

Markus Beckedahl: Es gibt noch ein Modell (weshalb ich vorhin auch meinte, es gibt 2 ½ Modelle), das in den letzten 1-2 Jahren bei einigen sehr erfolgreich geworden ist: dass man über Micro-Donations, wie Flattr usw., einen Teil seines Einkommens refinanzieren kann. Durch Crowd-Funding, durch Einbindung der eigenen Community, die ein Interesse daran hat, dass man quasi die Arbeit der Vergangenheit in der Zukunft weiterführt und deshalb dort hinein investiert.

Frisch gebloggt: Ein Geschäftsmodell, das Du jetzt nicht erwähnt hast, meiner Meinung aber immer größere Bedeutung im Netz gewinnt, ist das Link-Buildung. Sprich: Unternehmen zahlen Blogger dafür, einen Link in einem ihrer Blogposts zu integrieren, der auf eine bestimmte kommerzielle Seite verweist. Vorteil für die Unternehmen: je mehr Links sie von nicht-kommerziellen Webseiten, wie Blogs, auf ihre eigene Internetpräsenz bekommen, desto besser werden sie in Suchmaschinen gefunden. Hast Du damit auch schon Erfahrungen gemacht?

Markus Beckedahl: Ja, damit habe ich in so fern Erfahrung, dass ich jeden Tag mehrere Anfragen bekomme, ob ich bei so etwas mitmache. Aber ich halte diese Art von Verlinkung für unmoralisch, denn sie gefährdet das Ökosystem im Internet, da es sich um eine Manipulation handelt, und ich bin mir auch sicher, dass das gegen verschiedene Gesetze verstoßen kann, weil die Leser nicht darüber informiert werden, dass Links verkauft werden und das sollte natürlich immer transparent sein.

Frisch gebloggt: Du sprichst von Schleichwerbung, richtig?

Markus Beckedahl: Schleichwerbung, genau. Für mich persönlich war das nie attraktiv! Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn Blogger sich etwas dazuverdienen wollen, weil es mit allen anderen Möglichkeiten nicht klappt, aber das Verständnis reicht nur in so fern, bis jemand davon Kenntnis erlangt, dass das a. unmoralisch und b. rechtswidrig ist, und dann hört mein Verständnis auch auf. Meistens hat man da eher mit unerfahrenen, unwissenden Bloggern zu tun, die dann quasi von unseriösen Unternehmen mehr oder weniger ausgenutzt werden.

Frisch gebloggt: Ich habe dennoch das Gefühl, dass diese Linkbuilding-Geschäfte immer mehr werden und sich tatsächlich sehr viele Blogger darauf einlassen. Ich denke auch, dass die Grenze zwischen moralisch und umoralisch fließend ist. Wenn ein Blogger sich auf ein Linkbuilding-Angebot einlässt, weil das Thema gut zum Blog passt und er sich deshalb dazu entscheidet z.B. für einen Buchverlag eine Rezension inkl. Verlinkung zum Verlag zu verfassen, dann ist das ja ok. Droht nicht gerade durch diese fließende Grenze die Gefahr, dass das steigende Linkbuilding-Geschäft guten Content im Netz gefährdet und das ganze dann irgendwann Überhand nimmt?

Markus Beckedahl: Na klar, wird das Überhand nehmen! Aber deswegen sollte man auch darüber diskutieren, dass das ethisch und moralisch verwerflich ist und sollte eben diejenigen anprangern, die damit Geld verdienen: a. diejenigen, die das Geld annehmen und dadurch daran mitarbeiten und b. die Unternehmen, die quasi andere dazu verleiten, da mitzumachen, also die Agenturen, die sich darauf spezialisieren, anderen Geld dafür zu zahlen, dass diese Schleichwerbung machen. Ich bin der Meinung, dass die Fairness-Regeln, die wir aus dem klassischen Print- oder Medienbereich kennen, auch auf das Internet übertragen werden sollten. Aus Verbrauchersicht ist diese Transparenz ja äußerst wichtig! Wen können wir noch vertrauen? Und auch generell für das Ansehen der Blogosphäre (wenn es überhaupt “die” Blogospäre gibt, es gibt halt tausend von Blogosphären), bzw. für das Ansehen von Blogs in der Öffentlichkeit ist es gut, wenn es weniger schwarze Schafe gibt, als wenn jetzt ganz viele Menschen auf einmal anfangen, auf unseriöse Art und Weise unmoralische und unethische Schleichwerbung zu produzieren.

Markus Beckedahl (Foto: Ralf Stockmann/Flickr)

Markus Beckedahl (Foto: Ralf Stockmann/Flickr)

 

Frisch gebloggt: Es wird viel von einem Blogger erwartet, der sich mit Leidenschaft einem Thema widmet und dieses der Öffentlichkeit bereitstellen möchte…

Markus Beckedahl: Wenn sich ein Blogger mit Leidenschaft einem Thema widmet, warum sollte man sich dann für Schleichwerbung bezahlen lassen?

Frisch gebloggt: Ich denke, dass die Grenzen fließend sind… Worauf ich aber hinaus möchte: der Blogger als wichtiger Content-Produzent, der kein gelernter Journalist und Medienprofi ist: von einem solchen Blogger wird wirklich viel erwartet. Er soll uns guten Content liefern, soll akzeptable von „unmoralischer“ Werbung unterscheiden können. Er muss ein gewisses technisches Verständnis haben für die Blogsoftware und muss sich auch in Urheberrechtsfragen auskennen, sprich wissen, welchen Text darf ich zitieren, welches Bild aus dem Netz darf ich benutzen. Besonders diese rechtlichen Fragen machen ja vielen Bloggern Schwierigkeiten. Immer wieder hört man von Bloggern, die aufgrund kleinster Fehler bedrohliche Anwaltsschreiben erhalten und dann irgendwann frustriert das Handtuch werfen. Glaubst Du, dass eine Gefahr besteht, dass wir diese guten Blogs und mit ihnen auch einen großen Teil an hochwertigen Internet-Content verlieren, weil einfach zu viel von einem Blogger gefordert wird?

Markus Beckedahl: Glaube ich nicht unbedingt. Man sollte da ja verschiedene Dinge nicht vermischen. Das bezahlte Schleichwerbung unethisch und unmoralisch ist , das sagt einem ja der gesunde Menschenverstand. Wie wäre eine Welt , wenn das jeder machen würde, wenn das jedes Medium machen würde? Wem würde man da noch vertrauen, welchen Inhalten würde man da noch vertrauen? Auf der anderen Seite hast Du das Abmahnwesen und das Urheberrecht angesprochen. Meiner Meinung nach ist das Urheberrecht nicht mehr zeitgemäß, es sollte verändert werden! Aber jeder, der im Internet publiziert, wird die ganze Zeit über Stolperfallen stolpern. Selbst Menschen, die sich eine Zeit lang mit dem Urheberrecht beschäftigt haben, begehen immer noch wissentlich oder unwissentlich Fehler beim Bloggen. Wissentlich, weil sie der Meinung sind, dass bestimmte Sachen offensichtlich verboten sind, sie das aber nicht akzeptieren wollen. Das ist halt auch eine Frage, da müssen wir einfach gesellschaftliche Realitäten schaffen. Da muss dann jeder für sich entscheiden, ob man jetzt quasi wissentlich gegen gesetzliche Grenzen verstoßen möchte: ja oder nein.

Frisch gebloggt: Ich denke aber, dass die meisten Blogger das nicht wissentlich tun, sondern unbewusst eine Urheberrechtsverletzung begehen.

Markus Beckedahl: Genau, das ist das Zweite: die meisten Leute wissen halt nicht, was ist jetzt erlaubt und was ist verboten. Das Urheberrecht ist ursprünglich für Juristen gemacht worden, doch heutzutage kommt jeder damit in Berührung, der zum Sender wird. Dafür war das gar nicht vorgesehen! Es wird aber auch nicht verändert. Es gibt so ein schönes Beispiel: die Bundeszentrale für politische Bildung hat ein Buch „Urheberrecht für Einsteiger“ herausgebracht, das kann man für zwei Euro sich zuschicken lassen, das ist sehr zu empfehlen. Die brauchen aber vierhundert Seiten, um das Urheberrecht für Einsteiger zu erklären! Das sollte man erst einmal gelesen haben, bevor man publiziert. Aber das kann es doch nicht sein! Dass man quasi erst einmal einen Grundkurs oder ein Grundstudium benötigt, um im Internet ohne Probleme publizieren zu können! Da muss man sich fragen: ist das Urheberrecht noch zeitgemäß oder können wir das Urheberrecht dieser Gesellschaft und den wirklichen Realitäten anpassen und einen neuen Ausgleich finden? Natürlich möchte der große Teil jetzt nicht irgendwelche armen Künstler enteignen, aber man möchte trotzdem irgendwo auch publizieren können ohne jetzt die ganze Zeit von Anwälten Abmahnschreiben zu bekommen.

Eine andere Sache ist noch: wie können wir dieser Abmahnindustrie Einhalt gebieten? Da braucht es für Erstabmahnungen irgendwelche klaren Begrenzungen, dafür würde ich mich auf jeden Fall einsetzen! Dass man auf jeden Fall nicht sofort für irgendeinen kleinen Fehler, der wissentlich oder unwissentlich geschehen ist, erst einmal tausend oder dreitausend Euro bezahlen muss, nur weil man mal mit seinem kleinen Blog mit seinen 50-100 Lesern eine Urheberrechtsverletzung begangen hat. Oder weil man nicht genau wusste, was eine falsche Tatsachenbehauptung oder eine freie Meinungsäußerung ist.

Frisch gebloggt: Da stimme ich Dir absolut zu! Vielen Dank für das spontane und sehr interessante Interview!

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